Arno Ströhle
Arno Ströhle

Marathon des Sables 2013 (MDS)

Der Marathon des Sables (MDS) ist ein anspruchsvoller Etappen-Ultramarathon, der seit 1986 vom Franzosen Patrick Bauer in der marokkanischen Sahara organisiert wird.

 



Die 230 Kilometer lange Strecke wird für jeden Lauf neu bestimmt. Es gibt 6 Etappen in 7 Tagen: fünf Etappen zwischen 30 und 42,2 km und eine Etappe von ca. 80 Kilometern (2009: 91 km), die die Läufer an einem Stück in knapp zwei Tagen (34 Stunden) absolvieren müssen. 

Die Läufer tragen die persönlichen Utensilien und die Verpflegung für das ganze Rennen mit sich. Die Organisatoren stellen nur das tägliche Wasser (ungefähr 9 Liter, abhängig von der Länge der Etappen) und ein offenes Zelt zur Verfügung.


Die Läufer müssen mit einer minimalen Überlebensausrüstung wie Schlafsack, Schlangenbiss-Set und 2000 kcal Energie pro Tag ausgerüstet sein. Die sich jährlich ändernde Laufstrecke besteht im Allgemeinen aus felsigen Ebenen, ausgetrockneten Flussbetten, Sanddünen, wobei nur gelegentlich kleine Dörfer durchquert werden. Die Temperatur erreicht tagsüber 45 °C und mehr, während sie nachts bis auf 5 °C abfallen kann.




Laufbericht Presse

Südkurier, 18.05.2013

 

HITZE, DURST UND GLÜCKSHORMONE

 

 

Die Sonne brennt unerbittlich auf den Sand in der marokkanischen Sahara. 57 Grad zeigt das Thermometer, selbst das bloße Atmen schmerzt.

 

 

 

Seit neun Stunden schleppt sich Arno Ströhle bereits durch die steinige Wüste. Schon ewig sieht er den ersehnten Kontrollposten in der Ferne am Horizont flackern. Wie lange schon? Eine Stunde? Zwei? Er weiß es nicht. Jeder Schritt tut weh. Der Konstanzer funktioniert nur noch. Setzt einen Fuß vor den anderen. Ankommen. Das ist alles, was zählt. Überleben.

Den 10. April 2013 wird Arno Ströhle nie mehr vergessen. Der 59-Jährige ist einer von mehr als 1000 Teilnehmern beim Marathon des Sables, einem der härtesten Langstreckenrennen der Welt. Er führt im Süden Marokkos mehr als 230 Kilometer über Dünen, durch ausgetrocknete Flussbetten, steinige Ebenen und selbst auf hohe Gipfel. Ströhle kämpft sich durch die vierte Etappe, den Ultramarathon über 75,7 Kilometer, und fühlt sich wie in einem riesigen Backofen. „Ich war kurz vor dem Hitzschlag“, erinnert sich der Konstanzer an die schier endlosen Stunden unter der grellen Sonne. Mit 40 Grad Körpertemperatur, „die Muskeln haben gekocht“, schleppt er sich schließlich zum dritten Checkpoint. Er opfert sein Trinkwasser, um die Beine zu kühlen, macht 20 Minuten Pause – und geht wieder hinaus, läuft einfach weiter, immer weiter. Den Rest des Tages und die ganze Nacht. „Wie ein Zombie, übermüdet, ohne Kraft“, sagt Ströhle. 24 Stunden am Stück, dann darf er sich erholen für den nächsten Abschnitt dieser unmenschlichen Quälerei.

 

Was ihn antreibt zu solchen Tortouren in Landstrichen, wo fast nichts überlebt, kann er selbst kaum in Worte fassen: „Die Glücksmomente kommen erst später, bei der Nachbetrachtung. Im Ziel bin ich erst mal gefühllos, ich schlage da keine Purzelbäume.“ Die eigene Anerkennung des Geleisteten, die positiven Momente bleiben in Erinnerung, nicht das stundenlange, manchmal tagelange Leiden und die Schmerzen. „Als ich kürzlich einen Fernsehbeitrag über den Marathon des Sables gesehen habe, hätte ich heulen können“, gesteht der Mann mit den kurzen, grau melierten Haaren und dem Ring im Ohr. Plötzlich ist fast alles wieder da. Nicht die quälende Hitze, die ausgetrocknete und verbrannte Haut, der Durst – aber die wunderbaren Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen, mit denen er einige Tage seines Lebens verbringt, die sich gegenseitig aufmuntern, anfeuern. „Nicht das Rennen stand im Vordergrund, sondern die Läufer. Der Letzte wurde fast noch mehr bejubelt als der Sieger“, sagt Ströhle. Vor ihm stehen eine silberne Teekanne und Gläser, die er sich nach dem Lauf und einem Besuch beim Barbier in Ouarzazate gekauft hat.

 

Sand. Überall nur Sand. Und Steine. Anfang April kämpft Arno Ströhle gegen die Natur, mit den Extremen Trockenheit und Hitze. Es ist ein Kampf mit sich selbst. Die eigenen Grenzen überwinden. Dem eigenen Körper das Gegenteil beweisen, wenn er fleht: Hör auf, bitte, bitte, es geht nicht mehr. „Das Hirn sagt: Es reicht, aber der Körper kann noch viel mehr“, betont Ströhle, der beteuert, noch nie in einem Rennen aufgegeben zu haben: „Nur eine Verletzung oder die Gesundheit können mich stoppen.“

Arno Ströhle sitzt im Konstanzer Industriegebiet, in der Küche seiner Hausmeisterfirma, in der er acht Mitarbeiter beschäftigt, als er von seinem bisher größten Abenteuer erzählt. Und davon gab es schon viele. Die Wände sind tapeziert mit Startnummern, Urkunden und Fotos von vergangenen Läufen. Alte Bekannte, die den Konstanzer zehn Jahre oder länger nicht mehr gesehen haben, reiben sich hier verwundert die Augen. „Ich bin mein Leben lang nie gelaufen“, bekennt Ströhle. Erst mit 51 Jahren hat er aus Gesundheitsgründen angefangen. Jeden Morgen, vor der Arbeit um 6 Uhr. Erst zehn Minuten, dann immer länger, bis zu einer Stunde. Kurze Zeit später schloss er sich der Marathongruppe des TV Konstanz an. Sein Ehrgeiz war geweckt. Fortan trainierte er täglich nach dem Programm eines Ferncoachs, stellte seine Ernährung um und nahm 20 Kilogramm ab. „Ich habe so exzessiv trainiert, dass ich Probleme mit meiner Frau bekommen habe“, gibt der Familienvater zu, „aber laufen ist ein Lebensbestandteil für mich geworden. Ich bin dadurch ein besserer Mensch. Früher war ich sehr aufbrausend, jetzt bin ich viel ausgeglichener.“ Längst haben sie sich abgefunden mit dem extremen Hobby des Vaters, Ehemanns oder Chefs. Niemand schüttelt mehr den Kopf, wenn Arno Ströhle, der pro Jahr etwa 10 000 Euro in seinen Sport investiert, mal wieder aufbricht zu einer dieser Grenzerfahrungen.

 

Etwa 50 Marathons (Bestzeit 2:59 Stunden) hat er in seiner so jungen Karriere bestritten, mehr als 100 Wettkämpfe insgesamt, darunter so extreme Bergläufe wie die Alpenüberquerung Transalpin Run mit 340 Kilometern und 30 000 Höhenmetern, den Arlberg-Marathon mit 1300 Höhenmetern oder die 100 Kilometer von Biel. Alles kein Problem. Vor dem Trip nach Afrika, der ihn rund 6000 Euro gekostet hat, jedoch hatte der 59-Jährige richtig Bammel. „Ich war noch nie in der Wüste und wusste nicht, was da auf mich zukommt“, sagt Ströhle.

 

Was er dann erlebt, übertrifft alle Vorstellungen. Einen ganzen Tag dauert allein die Anreise per Flugzeug, Bus und alten Armeelastern bis zum Start in einem staubigen Berberlager mitten im Nichts. Nachts schlafen die Sportler in einfachsten Zelten bei etwa sieben Grad, tagsüber heizt die Sonne die Luft auf fast 60 Grad auf. Schon bald drückt der Rucksack mit dem nötigsten Gepäck auf den Rücken. Kompass, Landkarte, Campingkocher, Essen und Wasser – insgesamt neun Kilogramm müssen die Läufer durch die Wüste schleppen. „Leiden gehört dazu. Spätestens am dritten oder vierten Tag ist der Spaß vorbei“, sagt Ströhle über die stundenlange Tortur des monotonen Laufens durch diese unwirtliche Landschaft.

 

Am Ende kommt der Konstanzer überglücklich als 836. ins Ziel. In 56 Stunden, 19 Minuten und 53 Sekunden. Noch in der Wüste feiern die 500 Helfer und einige der erschöpften Sportler eine Party mit marokkanischer Rockmusik auf einer Open-Air-Bühne. Tags darauf folgt ein 7,7 Kilometer langer Charity-Lauf für Unicef, bei dem Ströhle schon nichts mehr spürt von den vielen Blasen an den Zehen. Das Leiden ist vorbei, der Schmerz vergessen. Er hat seinen Körper wieder einmal besiegt, das schier Unmögliche geschafft.

 

Genau diese Glücksgefühle, diese besonderen Momente, sind es, die Arno Ströhle die Kraft geben für all die Herausforderungen an Geist und Körper. Kaum hat er die marokkanische Wüste bezwungen, schon denkt er an die kommende Aufgabe: „Der erste Eiger-Ultratrail mit 101 Kilometern und 7000 Höhenmetern im Juli ist mein nächstes Ziel“, sagt Ströhle. Der 59-Jährige kann einfach nicht aufhören. Sein ganzes Leben ist ein Extremlauf. Arno Ströhle macht einfach weiter, immer weiter. Aufgeben verboten.

 

Video aus den Vorjahren