Arno Ströhle
Arno Ströhle

Mein erster Marathon

(September 2005)

 

 

Berlin ruft! Der TV-Konstanz in Vertretung von Karin und Martin, hat uns beim Berlin-Marathon angemeldet. Wir sind 23 Starter und ca. 5 oder 6 Leute als moralische Unterstützung. Meine Frau Elvira ist auch dabei. Es ist Freitagvormittag und wir fahren mit dem Zug von Konstanz nach Stuttgart-Flughafen mit drei mal umsteigen. Beim Einchecken stellte sich heraus, dass Karin den Namen meiner Frau verwechselt hat und nun wollte die gute Frau der Fluggesellschaft keine Bordkarte ausstellen. Nach telefonischer Rücksprache wurde das Problem jedoch behoben und ich bekam die Bordkarte. Leichter Schreck! Also, in Berlin angekommen ging’s mit Bus und S-Bahn zum Hotel und wir bezogen dann auch zügig unsere Zimmer. Zum Abendessen trafen wir uns alle beim Italiener um die Ecke. Wir haben sehr gut gegessen und es war ein sehr schöner und milder Spätsommerabend. Alle saßen wir draußen. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück ging’s erst mal zur Laufmesse die Startunterlagen abholen und eine Kleinigkeit einkaufen. Im Anschluss machten wir alle eine Bootsfahrt auf der Spree. Es war sehr beeindruckend, das Berlin von Heute und vom Wasser aus.

 

Zurück im Hotel trafen wir uns alle wieder beim Italiener, wo wir wieder draußen saßen. Es war wieder ein sehr schöner Abend. Das Wetter, das Essen, die Wirtin, unser Beisammensein in der Gruppe, alles stimmte.

 

Sonntag! Oh jetzt kommt Unruhe auf. Ich bin um 5 Uhr aufgestanden und bin um 6 Uhr beim Frühstück. Danach startklar machen. Ich habe schon am Vorabend alles gerichtet. Jetzt noch mal alles durchchecken, ob auch alles da ist, was ich brauche. Dann ging’s los. Mit der S-Bahn in die Friedrichstraße, dann zu Fuß durch „Unter den Linden“ und die „Strasse des 17. Juni“ zum Startplatz. Jetzt mussten wir unsere Klamotten in einer der 110 Kleider-LKW’s verfrachten. Nun ging jeder in seinen Startblock. Die meisten von uns mussten in den letzten Startblock. Ich selbst hatte mich so in der Mitte des letzten Startblocks wieder gefunden. Und es war so eng, dass man steif und kerzengerade stehen musste. Man konnte sich nicht bewegen oder lockern.

 

Nach dem Startschuss für unseren Block musste ich mich erst Mal im Gewühle zurechtfinden. Ich lief gleich mein vorgesehenes Renntempo und da kamen sie dann auch schon, die Probleme. Dauernd lief einer vor meinen Füßen herum bzw. ich lief immer auf die anderen auf. Um nicht aufgehalten zu werden lief ich von links nach rechts, in die Mitte, dann wieder links um dann wieder auf rechts zu wechseln. Als Ergebnis kamen dann dauernd Geschwindigkeitsänderungen vor. Ich lief dann oft bei 3:30-3:50 bei Überholvorgängen, wurde dann aber wieder an verschiedenen Stellen bis auf  7:30 abgebremst, weil zu viele Leute gleichzeitig um die Ecke liefen usw. Dann auch noch die Aufenthalte an den Wasserstellen. Die Leute liefen einem quer über die Füße. Man musste höllisch aufpassen, dass man nicht hinfiel. Bis km 15 war das Überholen extrem. Ich habe bis zum Ende ca. 15.000 Läufer überholen müssen. Das hat dann doch ziemlich Kraft gekostet, die ich dann ab km 25 schon zu spüren bekam.

 

Ab km 35 war es dann nur noch der Kampf ums Durchhalten. Meine Zeitentabelle hatte ich schon weggeschmissen. Meine Kondition und meine mentale Stärke haben mich den Rest über die Strecke gebracht. Mein Wille wollte immer noch schneller, aber meine Muskeln wollten mir nicht mehr gehorchen. Ich konnte einfach nicht mehr schneller laufen. Meine Muskeln schmerzten. Es ging nur noch ums Durchkommen. Meine Wunschzeit von 3:30 Std. war nur noch Erinnerung im Hintergrund. Das Kennenlernen meines Körpers in einer Form, wie ich es noch nicht kannte, war nun Hauptthema. Das Ungewisse, was noch alles auf mich zukommt, bestimmte von nun an meine Gedanken. Wie weit werden die Muskelschmerzen noch zunehmen? Werden noch meine orthopädischen Probleme auf mich zukommen? Wie meine Achillessehne oder meinen hinteren Oberschenkel-Muskel, der mir in der Vorbereitungszeit viel Probleme bereitete? Werde ich es konditionell schaffen? Soll ich noch ein Gel nehmen? Oder soll ich eine Wasserstelle auslassen? Fragen über Fragen beschäftigten mich. Von der Kulisse bekam ich nicht sehr viel mit, denn ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Ab km 35 lief ich nur noch wie eine Maschine, immer im gleichen Schritt, wie wenn der Autopilot eingeschaltet wurde, konzentriert auf das Innere hörend auf Herzschlag, Kondition, Muskeln, Knochen, Allgemeinbefinden. Eine richtige Analyse fand da statt.

 

Es war ein ganz neues unbekanntes Gefühl, das mich da überkam, dass ich so noch nicht erlebt hatte. Ein Gefühl, wie man es nur schwer beschreiben kann. Um dieses Gefühl kennen zu lernen, musste ich ca. 10 Monate hart trainieren, musste viel Schmerz und Überwindung ertragen und die Auseinandersetzung mit mir selbst, was mit unter am schwierigsten war, betreiben. Dies ist nun der Preis, ein Drittel der gelaufenen Zeit fühlen, wie du über dich hinaus wächst. Mental und leistungsmäßig. Eine Leistung erbringst, obwohl der Körper schon längst sagt, es reicht jetzt, du kannst aufhören, es ist jetzt genug. So ein Gefühl, wo du glaubst, du bist ein anderer Mensch, das kannst du doch gar nicht sein. Wenn mich vor einem Jahr jemand gefragt hätte ob ich bei einem Marathon mitlaufen würde, ich hätte im den Vogel gezeigt. Ich konnte mir es einfach nicht vorstellen, dass ich so etwas könnte. Alles entwickelte sich erst nach und nach mit dem Training im Verein. Man hat sich Vorbilder gesucht und so wuchs auch der Anspruch an sich selber.

Und es ist immer noch ein gewaltiger Unterschied, ob du bei dem Marathon nur durchkommen willst, oder ob du dir einen Leistungsdruck durch eine Zeitvorgabe auferlegt hast. Manchen reicht es, dabei gewesen zu sein. Mir nicht, noch nicht. Ich möchte erst mal mein Leistungspotential, das ich noch mit 52 Jahren und als Laufanfänger erreichen kann, ausloten.

 

Also mein Tempo reichte von 3:30 bis 8:00. So ungleichmäßig hatte ich mir das nicht vorgestellt. Durch das andauernde links und rechts Wechseln hatte ich dann auf der gesamten Strecke  2,5 km mehr absolviert, als die eigentliche Strecke lang war.

Wenn ich das nun zusammen rechne, bin ich einen Schnitt von 4:59 gelaufen aber es werden ja nur die 42,195 km gewertet werden, also war der gültige Schnitt dann 5:17 min/km. Meine Endzeit also 3:43:12. Und noch einen Fehler hatte ich gemacht, nach dem Passieren des Brandenburger Tor dachte ich, ich sei schon im Ziel und hörte auf zu laufen. Als ich dann aber von anderen Läufern plötzlich überholt wurde, erkannte ich meinen Irrtum sofort und lief auch gleich wieder weiter. Denn zum eigentlichen Ziel war es ja noch ca. 100 oder 200m. Im Ziel angekommen, war ich dann doch sehr froh über die noch erbrachte Zeit.

 

Ein Glücksgefühl stellte sich ein, es geschafft zu haben, den ersten Marathon in meinem Leben und das auch noch in eine für mich akzeptablen Zeit. Auch dieses Gefühl war anders, als das auf der Strecke und auch dieses kannte ich so noch nicht. Als ich dann auf dem Sammelplatz auf meine Trainerin stieß, die selber eine Super-Zeit lief, und diese mich dann umarmte und gratulierte kamen mir doch fast die Tränen. Ich musste um Fassung ringen. Auch das kannte ich nicht. Meine Muskeln waren erschöpft aber meine Kondition und meine Knochen waren noch toll in Ordnung. Meine Befürchtungen von Verletzungen während des Laufs bewahrheiteten sich nicht. Alles was kam war ein fürchterlicher Muskelkater, der mehrere Tage anhielt. Ich lief zunächst nur noch wie auf Eiern. Aber es war die spürbare Erinnerung, an etwas, was ich geglaubt habe, nicht zu erreichen.

 

Und was ist die Moral der Geschichte: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

 

Am Abend nach dem Marathon wurde dann in der Nähe des Hotels bei einem Griechen gefeiert. Nur auf die Läufer-Party, die da noch stattfand, wollten dann nicht mehr alle hin. Auch ich ging nach dem Essen doch auch frühzeitig wieder ins Hotel und ins Bett. Eine bleibende Erinnerung, dieser erste Marathon. Der nächste ist schon geplant, mit einigen taktischen Verbesserungen.